"ich sehe meine aufgabe in der beobachtung"

ein gespräch mit Naomi Tereza Salmon über die art des sehens und die sprache der bilder

Vor 34 Jahren in Jerusalem geboren, studierte Naomi Tereza Salmon von 1986 bis 1988 Fotografie am Hadassa College in Jerusalem. Heute arbeitet sie als Fotokünstlerin zwischen Deutschland und Israel - auf der ganzen Welt. Die künstlerischen Arbeiten der Fotografin waren in Einzel- und Gruppen-ausstellungen in den USA, Israel, Österreich, in der Schweiz, Polen und in Deutschland zu sehen. Von 1990 bis 1995 fertigte sie Objekt-Fotografien aus Auschwitz, Buchenwald und Yad Vashem an und stellte sie unter dem Begriff "Asservate / Exhibits" zu einer Ausstellung zusammen. 1996 stellte sie ihr Projekt "Weimar - Jerusalem; Jerusalem - Weimar" vor, das sie 1997 mit der Ausstellung "Ein Raum mit Himmel (November)" erweiterte.

Noch bis zum 22. August 1999 gibt es 170Fotografien zum Thema "Black-Box, Souvenir aus Israel" von Naomi Tereza Salmon im Jüdischen Museum Hohenems zu sehen.

Was verbindet Sie mit Israel?

Meine ganze Sehnsucht. Meine Hauptbeziehung zu Israel ist Liebe - Haß... und Nachdenken.

Haben Sie den Schritt nach Weimar jemals bereut?

Nein, das kommt auch daher, daß ich nicht 100%ig in Weimar bin, ich habe auch im ganzen deutschsprachigen Raum, in Israel und Amerika zu tun, ich bin nicht vom Ort abhängig.

Was vermissen Sie bzw. welche Aspekte stören Sie an und in Weimar?

Es ist manchmal zu klein, für die großen Bedeutungen, die daran hängen, also das heißt manchmal kommt der Diskurs, kommen die Auseinandersetzungen auf Ebenen, die zu persönlich sind. Alle kennen alle.

Weimar 1999, wie würden Sie die Stadt im Kulturstadtjahr beschreiben?

Meines Erachtens nach ist Weimar die dritte Hauptstadt Deutschlands. Weimar hat auf alle Fälle das Recht Kulturstadt zu sein, das hat mehrere historische Gründe. Die Stadt ist dennoch ein bißchen zu viel mit sich selbst beschäftigt, weniger mit anderen Kulturen, aber das kommt sicher daher, daß die Stadt an sich genug Material hergibt.

Was macht Weimar Ihrer Meinung nach zur Europäischen Kulturstadt?

Die Menschen, die sich in dieser Stadt bewegten und bewegen mußten, waren über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt genug.

Für Sie als Fotografin: Welche Bedeutung würden Sie Ihren und generell Bildern zuschreiben?

Ich sehe meine Aufgabe in der Beobachtung. Ich bin eine Beobachterin und Bilder sind eine Art Übersetzung von Gedanken und Meinungen. Die Kamera ist dabei das technische Mittel zur Übersetzung. Die Fotografie dient auch als Beweis, bis jedenfalls vor 10 Jahren. Heute kann man alles manipulieren und bald wird es zwei Sorten von Bildern geben: die echten und die manipulierten.

Glauben Sie, daß Ihre Arbeit, wie z.B. die derzeitige Ausstellung im Schillermuseum "Vom Antlitz zur Maske", die Sie mitgestaltet haben, genügend wahrgenommen wird?

Ich glaube, daß eine der Ideen, die hinter dieser Ausstellung steht, in der Möglichkeit besteht, jedem soviel zu geben, wieviel er herausbekommen will. Je tiefer man geht, umso mehr Informationen bekommt man, die zur Verfügung stehen. Natürlich kann man sich damit auch flüchtig beschäftigen. Ich meine damit nicht nur den Inhalt, sondern auch den visuellen Aspekt. Wenn dieser Aspekt manchen genügt, dann reicht dies eben. Wir haben die Ausstellung so konzipiert, daß ein gestalterischer Eindruck bleibt. Von den Feed-backs, die ich bekommen habe, kann ich sagen, daß dies wahrgenommen wird.

In dem Gästebuch findet man immer wieder das Wort "Erschreckend." Denken Sie, daß dies der entsprechende Ausdruck für die offensichtliche Ohnmacht und Ratlosigkeit ist, mit der die Besucher konfrontiert werden?

Die Frage beschreibt die Antwort. Dies ist die oberste Schicht der Tiefe, um mit so etwas fertig zu werden. Es ist Ratlosigkeit und es ist Hilflosigkeit, die man aber nicht so schnell zugeben würde. Es ist erschreckend, weil es ein Spiegel ist. Diese Menschen stellen einen Blick dar, den sie auf die Besucher werfen. Da merkt man, es gibt keinen Grund, warum diese Menschen sterben sollten. Ich glaube nicht an die Gründe, die damals oder heute in Ex-Jugoslawien gelten sollen. Die Bilder sind Spiegel für diese Gedanken und es genügt mir, wenn dies nicht so direkt klar wird, sondern auch ein bißchen im Unterbewußtsein bleibt.

Würden Sie sagen, daß der Vergangenheitsbewältigung in Weimar - auch im Kulturstadtjahr - ausreichend Bedeutung zukommt?

Ich glaube es wird fast zuviel für die diese Seite gemacht. Wenn man darüber nachdenkt, sind fast alle Ausstellungen mit der Vergangenheit von vor 50 Jahren beschäftigt. Die Hochschule für Musik macht eine Ausstellung zur "Entarteten Musik", Buchenwald macht das, was es tun sollte. Es gibt "Wege nach Weimar", die sich auch damit befaßt, nicht zuletzt die Preiß-Ausstellung "Aufstieg und Fall der Moderne" und weitere Projekte wie die Zeitschneise oder "Licht auf Weimar". Fast 70% der erphimeren Medien sind mit der Verbindung Weimar - Buchenwald beschäftigt. Also was die Vergangenheit von vor 50 Jahren betrifft, ist das Angebot gut und es ist auch nötig. Es gibt natürlich auch verschiedene Zielgruppen, es gibt welche, die nur wegen Goethe und Schiller kommen, es gibt sogar welche, die nur für Goethe und nur für Schiller da sind. Andere Aspekte werden da mehr vernachlässigt. Ich denke da an andere wichtige Dinge, Kulturfragen, soziale Fragen, wie z.B. der Streit um die DDR-Kunst, über den ich froh bin. Dieser Aspekt wurde in der Vergangenheit ein bißchen zu sehr verwischt. Eine weitere Seite der Kulturstadt ist die Frage, was es heißt Kulturstadt zu sein. Anders als in größeren Städten wird die Bevölkerung hier "erpreßt", d.h. "Ha! Es ist Kulturstadtjahr" und alle müssen damit fertig werden. In einer großen Stadt wie Berlin oder Thessaloniki könnte die Bevölkerung das zum Teil ignorieren; hier kann man das nicht. Es hat die ganze Stadt sozusagen annektiert.

Wie können Ihrer Meinung nach Fotografien diesen Prozeß im Umgang mit der Geschichte unterstützen?

Die Fotografie ist ein objektivbezogenes Medium, dabei ist es egal ob es eine Videokamera oder eine normale Kamera, dazu gehören auch Computer, denn alles hat mit gerahmtem Sehen zu tun. Ich nenne das "lens", also alle objektivbezogenen Medien, die eine Reflektion des Beobachteten wiedergeben.

Sie haben für die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem (Jerusalem) und in Buchenwald fotografiert. Was haben Sie dabei empfunden?

Ich bin nach Yad Vashem eingeladen worden, um alle Objekte zu fotografieren. Es fing wie ein Job an und dies hat mir diktiert wie die Dinge aufzunehmen sind. Dann war ich in Buchenwald zu Besuch, bin in den Archivbereich eingeladen worden und da habe ich mich entschieden; das will ich fotografieren. Der letzte Schritt war, nach Auschwitz zu fahren, um dort Bilder zu machen. Am wichtigsten war mir dabei der Umgang mit den Objekten, die aus ihrer Umgebung und ihrem normalen Leben entfernt wurden, und was mit ihnen passierte. Diese Objekte reflektieren etwas.

Was denken Sie, wenn Sie die derzeitige Diskussion über ein Holocaust-Denkmal in Berlin verfolgen?

Man muß überlegen, daß Berlin seine Juden und die jüdische Welt verloren hat. In Berlin verschwand die Gemeinde. Heute gibt es eine neue Gemeinde, eine israelisch-deutsch-jüdische Gemeinschaft. Die Frage ist sehr komplex. Es gibt ein Jüdisches Museum, daß die Geschichte des jüdischen Alltags und der Kultur vor dem Krieg aufzeigt. Das neue, von Liebeskind gebaute Museum finde ich großartig. Die Leere sagt schon viel mehr als ein paar silberne Kerzenständer. Weiterhin gibt es die "Topographie des Terrors", die Geschichte des Terrors vor Ort. Und jetzt wollen sie noch etwas: Natürlich muß es ein Denkmal sein und kein Museum, vielleicht sollte man aber eher ein Netz aufbauen, das alle diese Orte zusammenhält, so eine Art Erinnerungsnetz über die Stadt. Denn all diese Sachen gehören zusammen. Es ist ein Konglomerat.

Wie gehen Deutsche Ihrer Meinung nach mit dieser Frage um?

Das gerät jetzt langsam in den Selbstzynismus. Es wird zu Tode diskutiert. Vielleicht ist es eines Tages auch wirklich soweit und man kann dieses Thema mit viel Nachdenken erneut aufnehmen. Auch wenn das Problem politisch und schnell gelöst wird, dann auch nur weil die Regierung bestrebt ist, eine Lösung zu finden. Die Diskussion aber wird weitergehen und man muß sie aushalten können, auch wenn man es nicht mehr hören kann. Es gibt schon jetzt mehrere Bücher über die Debatte, es ist ein riesiges Thema. Manche sagen das an sich ist schon das Denkmal. Man muß sich nur mal die Geschichte um dieses Thema anschauen, allein dafür müßte man schon ein Museum bauen. Das ist auch ein Zeichen dafür, daß wir immer mehr mit uns selbst beschäftigt sind, die Deutschen, die Israelis und die Juden, die in Deutschland leben.

An und für sich ist die Diskussion aber ein guter Prozeß, und es wird sicher noch eine Weile dauern, bis irgendwann alle einverstanden sind. Es wird immer Interessengruppen geben, die etwas dagegen haben. Daran sieht man, das Problem ist lebendig.

Für was steht Deutschland in Israel?

Es gibt die kollektive Erinnerung, das kollektive Verhalten. Es gibt solche, die nie vergessen. Es gibt gemischte Gefühle und es gibt noch nicht so etwas wie eine allgemeine Haltung Deutschland gegenüber. Es gibt immer noch eine Distanz, Yad Vashem beispielsweise kooperiert nur sehr ungern mit deutschen Institutionen. Im allgemeinen gibt es aber eine Öffnung.

Israel und der Friedensprozeß: Glauben Sie, daß nach der Abwahl Benjamin Netanjahus eine politische Richtung eingeschlagen wird, die konsequenter an die Friedensbemühungen Yitzak Rabins anknüpft?

Ja. Aber es ist nicht so einfach. Ich glaube Ehud Barak wird alles machen, um das zu schaffen, aber die innenpolitische Situation in Israel ist so komplex, daß wirklich viel davon abhängt. Netanjahu hat drei Jahre lang sehr viel Haß und Spaltung in der Gesellschaft geschaffen. Dies muß innerlich erst wieder gutgemacht werden, obwohl dieser Schritt und der Friedensprozeß eigentlich parallel ablaufen müßten. Außerdem gibt es immer 50 %, die etwas dagegen haben. Ich beschäftige mich sehr viel mit diesem Thema und ich denke man wird zunächst versuchen, das Land zusammenzuhalten.

Werden Sie eines Tages für immer nach Israel gehen?

Ich würde nirgendwohin für immer gehen. Wenn das Land zur Ruhe kommt, wenn es dort Frieden gibt und eine Verfassung und wenn mehrere Aspekte gegeben sind, die ein normales Leben gestatten, dann vielleicht. Ich bin aber auch ganz bewußt nach Deutschland gegangen, arbeite hier gern und fühle mich wohl.

Vielen Dank für das Gespräch

(Doreen Klamt)

source: http://www.uni-weimar.de/projekte/raus/artikel/fotofgr.html


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